Geschichte Casa Mirella

Text: Anton Giacun Vinzens

 

Wie Ihr wahrscheinlich alle wisst, befinden wir uns in der Casa Mirella. Warum gerade Mirella? Das Haus hiess ja vorher Casa Vinzens und gehörte den de Latours. Nun dafür gibt es zwei Gründe: Erstens, heisst meine Frau Mirella, und zweitens, stammt der Name von mirabile – das heisset bewundernswert – ab. In der Tat, betrachten einige, die vorbeigehen, das Haus. Und Idealisten und Sachkenner noch etwas länger. Wenn das Haus auch nicht mit den grossen Kunstschätzen zu vergleichen ist, so hat es doch einen grossen baulichen und historischen Wert, zumindest lokal gesehen.

 

Der bauliche Wert

 

Anlage: Der Bau steht im hinteren Teil des Dorfes. Von aussen fällt er durch seinen geschlossenen, verputzten Baukörper und das Mansardendach mit den drei Türmern auf. Im Innern sind die Räume an Mittelgängen aufgereiht, wobei die getäferten Stuben an der Südseite liegen, während die Wirtschaftsräume und Nebenkammern auf der Nordseite sind. Im obersten Geschoss, wo die drei Türme sich gegen den Gang und die Nebenräume öffnen, befindet sich ein grosser Saal in der Flucht der Hauptstrasse. Im Turm beim Gang befand sich ein geschnitzter Altar des heiligen Josef sowie Reliquien, welche bereits vor einigen Jahrzehnten verkauft wurden.

 

Bauweise: Über dem gemauerten Sockel erhebt sich eine Riegelkonstruktion, welche mit Verputz überdeckt ist und den Eindruck eines Steinhauses erweckt. Teile der Innenwände bestehen noch aus dem Riegel des Vorgängerhauses. Das Nachbilden eines Steinhauses war, in der Zeit, keine Seltenheit. Es ging wohl darum, mit wenig Mitteln der Repräsentation Genüge zu tun. Nach den stilistischen Merkmalen, muss das Haus am Ende des 18. Jahrhunderts in der heutigen Form gebaut worden sein, auch wenn der ursprüngliche Bau viel älter ist, und kleiner war. Es hatte vermutliche die Grundfläche des jetzigen Essraumes zuzüglich Garderobe. Dies beweist der Verputz zwischen Hausmauer und Trennmauer beim Heizraum und Gang, das Fenster, welches in der Mauer war, wo jetzt die Türe zwischen Gewölberaum und Gang zum Treppenhaus ist, sowie die Strickwand mit dem Fenster im Zimmer beim Treppenhaus im mittleren Stockwerk und der unterste Balken mit den Verzierungen in der unteren Stube. 

 

Das Haus hatte im 19. Jahrhundert vor allem am Äussern durch hölzerne Zutaten an den Fenstern, der Fassade und am Dach sein Gesicht verändert. Bei den Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass ursprünglich die Fenster in der ungegliederten Mauerfläche lagen und von dekorativen Malereien umgeben waren. Das Innere hatte durch Übermalungen und den Gebrauch im Laufe der Zeit stark gelitten. So sah das Haus vor der Restaurierung nicht gut aus, und manche haben gemeint, wir wurden spinnen, so etwas noch zu erhalten. Freilich reden diese heute eine andere Sprache.

 

Laut Aussage des kantonalen Denkmalpflegers Herrn Dr. Wys, gehört das Haus zur grossen Zahl von Herrenhäusern, welche in unserem Kanton stehen, und die neben den Palästen der Salis, Planta und Sprecher von der hohen Kultur unserer bündnerischen Landhäuser zeugen. Unser Haus vertritt noch am Ende des 18. Jahrhunderts den Typ des Herrenhauses des 17. Jahrhunderts mit dem Saal und den Türmen. In der Tat pflegt in diesen Häusern der Festsaal in den oberen Geschossen zu liegen, wohl in Erinnerung an die Wehrbauten. Unser Haus hat diese Überlieferung beibehalten, auch wenn dieser Saal nur mit einem einfachen Stuckprofil versehen war und der reichen Ausstattung entbehrte. Immerhin sind Türen und Sockel reich gearbeitet und möglicherweise waren einst die Wände mit Tapeten belegt. Das andere Motiv sind die Türmchen. Man hat im 17. Jahrhundert als herrschaftliches Zeichen gerne einen Turm am Haus angebaut, der ebenfalls an die Burgen erinnern soll. Bei uns sind es gleich drei Türme, wovon zwei an der Hauptfront, die das Haus zieren und vor allen andern auszeichnen soll. Der Dachstuhl selbst hat eine Konstruktion, wie man ihn weitherum nicht findet, und den die Fachleute bewundern.

 

Trotz des grossen Baukörpers sind alle Dachträger auf die Aussenwände abgesetzt. Neben diesen historisch und baugeschichtlich interessanten Teilen kommt die Ausstattung. Zwar sind die Räume in der Nordflucht und die Gänge selbst einfach gehalten. An der Südseite sind reiche Profile, die mittleren haben aufgesetzte Stäbe, während sich in den hinteren, östlichen Zimmern vor allen die Türen und Decken erhalten haben.

 

 



Geschichte

 

Casa Mirella ist vor allem auch ein historisches Haus. Die Erforschung der Vergangenheit eines alten Hauses erfordert jedoch enorm viel Zeit, sodass dies neben dem Bauen bis jetzt nur in grossen Zügen möglich war. Ich hoffe jedoch mit der Zeit noch mehr ausfindig machen zu können.

 

Laut Aussagen gehörte das ursprüngliche Haus, welches, wie bereits erwähnt, voraussichtlich kleiner war, dem Bistum Chur. Es soll dann an das Kloster Disentis und von dort an die de Turre de Latour übergegangen sein.

 

Während der Religionskriege, und später während der Französischen Revolution und zur Zeit der Fremden Dienste, kristallisierte sich eine obere Schicht von Aristokraten heraus. Die de Latours, deren Männer im In- und Ausland militärische Karriere machten und in der Politik des Kantons und des Bundes massgebend beteiligt waren, ja eine Zeitlang geradezu tonangebend, gehören wohl auch dazu. Angesichts der grossen Rolle, die diese Familie spielte, ist es auch möglich, dass dieses Haus vom Kloster Disentis irgendwie an die Familie de Latour überging. Wann und wie ist bis heute noch nicht abgeklärt. Nachdem man weiss, dass die de Latour in Frankreich, Spanien, Portugal und Italien in fremden Diensten waren, ist es möglich, dass sie beim späteren Umbau des Hauses von ausländischen Vorbildern inspiriert waren.

 

Nach bisheriger Ermittlung, waren im Hause:

 

Udalrich L. Fortunatder Risch genannt, Sohn des Kreispräsidenten und Landobrist Duitg Adalbert de Latour und Bruder des Colonels Casper Adalbert de Latour. Er lebte von 1728 bis 1806, diente seit 1747, und seit 1757 als Bannerträger, in der Garde von Versailles. In der Garde trug er die schönen Uniformen, die zum grossen Teil von den Schwestern in Brigels bestickt waren.

 

Im Hause war später ganz sicher der Politiker Peter Antoni de Latourder Oberländer Fuchs genannt, der von 1777 bis 1864 lebte. Er hatte zwei Brüder, der Hauptmann Ludivic und der General Casper, und zwei Schwestern, Carolina und Margreta. Der General wurde übrigens 1782 geboren, also im gleichen Jahr als das alte Buffet im Saal geschreinert wurde. Peter Antoni war im Gegensatz zu den militärischen Brüdern der leidenschaftliche Politiker. Alle aber haben massgebend die Geschichte, das Geschehen von damals bestimmt.

 

Peter Antoni, der also in unserem Hause war, war Schreiber des Grauen Bundes, einer der drei Bünde die es damals gab, und welcher dann den Namen Graubünden gab, als sich die drei Bünde zusammenschlossen. Ferner war er Landrichter in der Regierung in Chur sowie Vertreter an der Tagsatzung in Solothurn.

 

Man muss wissen, dass die Leute in unserem Lande zu jener Zeit sich in sehr unruhigen Zeiten befanden: die Bündner Wirren, die Französische Revolution, die Fremden Dienste. Im Gegensatz zu den meisten waren die de Latours liberal – freisinnig – und hatten einen sehr grossen Einfluss. Darüber ein kleines Detail: Zur Zeit der Französischen Revolution wechselten Franzosen und Österreicher immer wieder die Herrschaft über unser Land.

 

Die de Latours verstanden die Franzosen gut aufzuheben und zu bewirten. Als im Mai 1799 die Franzosen wieder einmal von Disentis kommend in unserem Dorfe waren, rief der Colonel die französischen Offiziere hier in diesem Hause oben im Saal zusammen, bewirtete sie gut und erklärte dann: „Meine Herren, ich muss euch als meine Gefangenen betrachten! Das Haus ist von den Brigelser Bauern umstellt! Tut Brigels nichts zuleide und verlasst dieses baldmöglichst!“ So zogen die Franzosen am anderen Morgen mit dem Sohn Ludivic nach Reichenau, wo dann die grosse Schlacht stattfand und Tausende das Leben verloren. Brigels blieb dadurch im Vergleich zu anderen Dörfern, die vieles durchzumachen hatten, verschont.

 

Irgendwann ist dieses Haus in den Besitz der Ahnen meiner Mutter, die Derungs, übergegangen und dann durch Heirat an der Familie Vinzens. Im Jahre 1969 haben wir das Haus der Erbschaft übernommen und im Jahre 1970 restauriert, und hoffen nun, viele werden sich darin wohl fühlen.